Gemeinwirtschaft by Pitt

Gemeinwirtschaft by Pitt

Autor:Pitt
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-02-01T05:00:00+00:00


3:Tagundnachtgleiche

Der Wind rennt durchs Wispertal, folgt von Ost nach West seinem Schlängelpfad, als suchte er einen Ausgang aus der grünwandigen Enge. In seinem Rechen haben sich nur wenige welke Blätter verfangen. Sie wirbeln hoch an den Fensterwänden, die unterm Druck des Windes beben. Tagundnachtgleiche: der Herbststurm erprobt seine Kraft. Noch ist sie zu schwach, um den Bäumen schon die Kleider vom Körper reißen zu können, oder ist das Blattwerk der Kronen noch zu vital? Immerhin, der Wind ist örtlich ein Sturm gewesen, denn Walter Böhme, der Chef der Volksheim AG, hat sein Zuspätkommen mit ihm entschuldigt: er habe in Frankfurt die Landung seines Jets behindert.

Frech ist der, hat Gerd Frantz gedacht, der erzählt den Kollegen, dass er im Privatjet komme – sollte wenigstens sagen, er habe den Vogel gechartert. Hat Walter Böhme seine Gedanken gelesen? Er komme geradewegs aus Paris, gestern Abend sei er noch in Nizza gewesen. Ohne die Mietjets könne er seinen Job nicht bewältigen „Ihr wisst ja, Kollegen, mit unserer Volksheim Global sind wir in ganz Europa.“

Die Kollegen: das sind die Abteilungsleiter oder Referenten, die in den Gewerkschaften für die Bildung verantwortlich sind, auch die Leiter einiger der vielen Schulen sind darunter. Die Kollegen: das sind auch die Chefs der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, Dr. Viehöfer von der Ge-Bank vor allem, den alle als eine Art Präsidenten hier ansehen, obwohl er natürlich neben dem Schatzmeister des ABA, dem Otto Sax, nur die Nummer Zwo sein kann – wenn man auch außer acht lässt, dass Harald Mahnke als Chef der Holding, der GVVG, formal über Viehöfer steht und mindestens einer, der Böhme, auf einer brüderlich gleichen Stufe mit dem. Viehöfer sitzt oben neben Sax am Tisch, Böhme unten. Gerd Frantz, der sich neben den Leiter der zentralen ABA-Schule in Berlin gesetzt hat, in der Mitte des breiten Rechtecks, sieht die Spannungswellen zwischen den beiden Gewaltigen über den Spiegel des Tisches huschen: oder sind es die Schatten der Wolken, die der Wind durchs Wispertal treibt? Die Kollegen: das sind auch die Referenten der Manager, die Büchsenspanner und Kugelgießer fürs Ideologische, auch Redakteure der Gewerkschaftspresse, die Pressesprecher.

Der ist frech. Paris. Nizza. Jeder weiß doch, dass sein Palasthotel in Nizza durch die vielen Prozesse zur Ruine verkommt, und seine Pariser Apartments – die will doch keiner haben, weder im einzelnen noch im ganzen, das ist doch ein Millionenloch. Dr. Viehöfer hatte Gerd Frantz gegenüber die Befürchtung geäußert, nicht zuletzt wegen Böhmes immer maßloser werdenden Expansionsdranges könne die Bildungsveranstaltung in der Hüttenmühle leicht zu einem Scherbengericht über die Gemeinwirtschaft werden, und er hatte darum gebeten, die Vorträge und alle Informationen sorgfältig vorzubereiten und alle Texte von Dr. von Waldau gegenlesen und koordinieren zu lassen. Die Vorträge heute, aneinandergereit im Stundentakt: das wird eine ermüdende Lesung des Waldauschen Buches, dessen Inhalt jeder kennt. Auch dieser Text vom Steinberg – zum Gähnen. Der Böhme hat seinen Text übrigens nicht dem Waldau gegeben: vielleicht hat er ja etwas Originelles in petto.

Gerd Frantz bedauert immer noch, damals, vor bald zwanzig Jahren, im Zuge der Hamburger Recherchen für Professor Nickel nicht bei Böhme in Altona gewesen zu sein.



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